Warum weniger Ausrüstung auf Reisen oft ein Mehr an Lebens- und Reisequalität bedeutet und eine gute Flasche Rotwein in jede Kameratasche gehört.
Die Größe und Umfang einer Kameraausrüstung sind natürlich rein subjektiv. Jeder fotografiert auf seine Weise und hat seine Präferenzen. Gerade was das Gewicht der Kameraausrüstung anbelangt, hat jeder seine Schmerzgrenze und die ist höchst individuell. Ich bin immer tief beeindruckt, wenn ich schwitzende Fotografen mit hochrotem Gesicht sehe, gebeugt vom Joch der bleischweren Kameratasche, die neben der Spiegelreflexkamera (grundsätzlich das Topmodel des jeweiligen Herstellers) eine Palette von Optiken und Blitzgeräten beinhaltet. Ein Stativ, welches selbst bei 12 Beaufort sicheren Stand verspricht, darf natürlich nicht fehlen. Man weiß ja nie. Kleinteiliges Zubehör steckt stets griffbereit in der camouflagefarbigen Systemweste, die durch den rückseitigen Aufdruck „Nikon Professional“ eine klare Linie zum fotografierenden Mob der Amateure aufzeigt. Alles, um den letzten Rest an Zweifel auszuräumen, wer hier das lichtbildnerische Alphatier ist. Hier soll nicht lange diskutiert werden, hier wird gewichen, zur Seite gesprungen. Man steht diesen Profis nicht im Wege, vor allem nicht im Bild.
Ganz nebenbei: in unserer Zeit als Werbefotografen haben wir leider auch des Öfteren diese Showeinlage abziehen müssen. Oft zählt hier nicht das Endergebnis, sondern der Entstehungsprozess. Da wird die Kamera nicht einfach hingestellt, sondern teures Equipment aufwendig aufgebaut, mehrmals die Kameraposition gewechselt (um am Ende wieder an der Ausgangsposition zu stehen), gemessen, getüftelt und feingetunt. Oft völlig unnötig. Nach über 20 Jahren Berufserfahrung riecht man förmlich den idealen Kamerastandpunkt, man kennt seine Ausrüstung und das Bild wäre in wenigen Minuten im Kasten. Aber wie erklärt man so dem Kunden die anschließende Rechnung. Nö, Showtime war/ist hier angesagt.
Aber warum so einen Quatsch auf Reisen durchziehen. Hier zählt nur das endgültige Bild. Der Rest ist Masturbation. Und was die Technik anbelangt, ist weniger oft mehr. Nicht die Kamera macht das gute Foto, sondern der Fotograf dahinter. Ab einer gewissen Preisklasse sind die qualitativen Unterschiede mittlerweile eher marginal. Der Krieg der Pixel wurde von den Herstellern längst beendet und die meisten tollen Innovationen sind oft nur noch Ballast, der die Bedienung unnötig verkompliziert und den Akku leersaugt. Mag sein, dass die direkte und unmittelbare Bildübertragung zu Facebook ein „Must-have“ für Social-Media-affine Menschen darstellt, für mich ist so etwas blanker Unsinn. Schön, wenn diese Kinkerlitzchen sauber von den essenziellen Einstellungen getrennt sind – oft sind sie es nicht. Man wünscht sich ein Software-Update, das die komplette Usability entmüllt oder zumindest umstrukturiert. Wichtige Einstellungen, die schon Ansel Adams benötigte, nach vorne. Die restlichen Menüpunkte in zartrosa in die Versenkung. OK, es gibt solche Kameras, jedoch übersteigt eine Leica M etwas das Budget. In Zeiten der analogen Fotografie wäre eine Leica eine sinnvolle Anschaffung fürs Leben gewesen, mittlerweile spricht die digitale Halbwertszeit eher gegen den Kauf.
Wichtiger als eine aufgeblähte Kameraausrüstung mit allem Schnick-Schnack ist eine Ausrüstung, die man immer und gerne dabei hat. Die nicht stört, wie ein guter Schuh, den man nicht spürt, aber dennoch vorhanden ist. Bleischwere Ausrüstungen spürt man und sie drücken. Entfernt man sich nur ein paar Schritte vom Fahrzeug, spielt das Gewicht keine Rolle. Begibt man sich auf Wanderschaft, wird jedes Gramm schnell zur Qual. Bewegt man sich auf sicheren Terrain, stellt eine protzige Spiegelreflexkamera kein Problem dar. Sucht man exotische Motive an leicht düsteren Orten, kann es von Vorteil sein, wenn die Kamera unscheinbar und klein genug ist, um schnell in der Tasche zu verschwinden. Und zwar in die eigene Tasche.
Eine Ausrüstung, die sie nicht ständig dabei haben, nützt ihnen nichts. Zusätzliche Ausrüstung, die sie mitnehmen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, bleibt spätestens ab dem zweiten Tage, wenn die Rückenschmerzen unerträglich werden, unbenutzt im Auto oder im Hotelzimmer zurück. Ist der Gedanke, dass diese Sachen ihren Besitzer wechseln könnten für sie unerträglich, werden sie stets mit Bauchschmerzen daran denken. Weniger ist einfach mehr. Außerdem sind sie auf einer Reise, sie besuchen schöne Orte. Genießen Sie diese mit allen Sinnen. Und sollten sie wirklich einmal einen Sonnenuntergang nicht für die Ewigkeit einfangen können, weil das Stativ nicht griffbereit war, geht die Welt auch nicht unter. Setzen sie sich hin, halten sie Händchen mit ihrer besseren Hälfte und prägen sie sich das Bild gut ein. Das Gedächtnis ist hochauflösender als jeder Kamerachip. Und wenn sie anstatt des Stativs eine gute Flasche Rotwein und zwei Gläser griffbereit haben, dann sind sie der Held des Tages.
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